Systematische Medizinische Trainingstherapie - Definitionen und Strukturen

Wulfram H. Harter

Problemstellung

 

Der Begriff „Medizinische Trainingstherapie“ erfährt im alltäglichen Gebrauch unterschiedlichste Interpretationen. Je nachdem in welchem Kontext dieser gebraucht wird existieren dabei unterschiedlichste inhaltliche, teilweise inflationäre Bedeutungen. 

 

An dieser Stelle soll darauf verzichtet werden ein methodisches Konzept explizit vorzustellen oder zu entwickeln. Die fachlichen Grundlagen hierzu sind aus der Trainingslehre, Medizin und Psychologie schon vielfach dokumentiert (siehe auch [13]). Sie bilden die -teilweise noch unterschiedliche gewichteten- curricularen Grundlagen der in Deutschland anerkannten Ausbildungsgänge der hier beteiligten Therapeuten vornehmlich aus den Trainingswissenschaften und der Physiotherapie. Es sollen hier die Rahmenbedingungen für die Anwendung von systematischer Medizinischer Trainingstherapie bei Patienten mit chronischen Rückenbeschwerden gesteckt werden.

 

Gerade der Einsatz und die Anwendung technischer System und Messungen reduzieren die Anwendung von Training als Therapie auf die weitestgehend technische Applikation mit vordergründigen Automatismen. Hierbei darf aber Mechanismus als Strukturgebender Begriff in seiner prozessorientierten Bedeutung, nicht mit Mechanik in der eigentlichen physikalischen Bedeutung verwechselt werden.

 

Dieser Artikel dient der Klärung der Frage:

Welchen Kriterien muss eine medizinische Trainingstherapie genügen, damit der Wert zur Reduktion eines Krankheitsbildes diskutiert werden kann? 

 

Die Antwort auf diese Frage hat Bedeutung für die

  • Vergleichbarkeit (unterschiedlicher methodischer Ansätze)
  • Qualitätssicherung
  • Ökonomie (Kostenträger)

 

und damit Relevanz für die Wissenschaft und die (vertraglichen) Beziehungen zwischen Kostenträger und Leistungserbringer.

Definitionen 

 

Es ist daher zuerst  sinnvoll, dass der Begriff „Medizinische Trainingstherapie“ hergeleitet und definiert werden muss. 

So entwickelte der schwedische Arzt Dr. Gustav Zander im Jahre 1857 (!) schon ein umfassendes Behandlungskonzept mit Hilfe von 76 verschiedenen Analyse- und Trainingsgeräten [18]. Auch Flint [4] berichtet schon 1958 innerhalb seiner Studien von entsprechenden trainingstherapeutischen Methoden. 

 

Der Begriff „Trainingstherapie“ besteht aus den Wortkomponenten „Training“ und „Therapie“, deren Nominaldefintion. Hierzu angeführt wird.

 

Definition Therapie (gr. Pflege, Heilung):

„Maßnahmen zur Heilung einer Krankheit (s.a. Behandlung); als ätiotrope oder kausale Th. auf Beseitigung der Ursachen u. Auslösungsmomente abzielend (z.B. Substitutionstherapie), als symptomat. Th. nur Krankheitserscheinungen bekämpfend (s.a. Palliativbehandlung), als spezifische Th. gezielt, als unspezifische Th. nur allg. heilungsfördernd, als konservative Th. ohne Op., v.a. medikamentös, als operative Th. durch chir. Eingriff; ferner Strahlen-, Ernährungs- (Diät), Funktionstherapie, Hormontherapie, physikal. Th., manuelle Th. (Chiropraktik), intermittierende Th. (mit behandlungsfreien »Pausen«), Psychotherapie.“ [25]

 

Logisch verbunden mit dem Begriff Therapie ist die Diagnose (gr. Entscheidung) als eindeutige Zuordnung einer gesundheitlichen Störung zu einem Krankheitsbegriff. 

 

Im medizinischen/rechtlichen Verständnis ist die Diagnose und die daraus abgeleitete Therapie unbedingt dem approbierten Arzt vorbehalten!

 

Zudem ist die Diagnose, als „alle auf die Erkennung eines Krankheitsgeschehens als definierte nosologische Einheit gerichteten Maßnahmen...“ [25], vorzugsweise abhängig zu machen von der systematischen Beschreibung der Erkrankung (Nosologie). Der Begriff „systematisch“ wird –insbesondere aus naturwissenschaftlicher Sicht- mit den Begriffen:

  • Messung (→ Entwicklung von Test- Güte Kriterien) und 
  • Klassifizierung

 

verbunden. Dabei ist aber explizit darauf hinzuweisen, dass keine Messung und Klassifizierung die Entscheidung per se darstellt. Eine Entscheidung steht immer im Kontext mit der Verantwortung und Verantwortlichkeit im medizinischen Sinne von welcher keine Messung entbindet! 

 

Der Begriff „Training“ wird in den Trainingswissenschaften unterschiedlich diskutiert. Allgemeingültige Definitionen lauten hierzu: 

 

Letzelter [19]: 

"Zusammenfassend ist Training ein Verfahren zur Optimierung, Maximierung und Stabilisierung des psychophysischen Leistungszustandes, indem Trainingsinhalte nach angemessenen Trainingsmethoden, welche nach den Prinzipien des (sportlichen) Trainings angeordnet und auf vorgegebene Trainingsziele ausgerichtet sind, ausgeführt werden. ... Was wird trainiert? ... Womit wird trainiert? ... Wie wird trainiert?"

 

Ein Training, und damit auch Trainingstherapie ist demnach nur unter Klärung der Prozessvariablen

  • Ziel (Ist-Sollwert- Bestimmung)
  • Plan (allgemeine Strukturvariablen)
  • Methode (wissenschaftlich nachgewiesene Wirkmechanismen)

zu diskutieren [7].

 

Sinnvolle neutrale Definitionen zur Medizinischen Trainingstherapie liefern: 

Froböse und Wilke [5]:

"Unter der Medizinischen Trainingstherapie (MTT) versteht man eine ganzheitliche, multimodale Vorgehensweise, die bereits mit der Befunderhebung/ Diagnostik beginnt und sich in allen Abschnitten der Therapie widerspiegelt. Alle motorischen Eigenschaften wie die Kraftleistungsfähigkeit, die Flexibilität die Ausdauer, die Koordination und die psychologischen Aspekte finden darin Berücksichtigung und sind gemeinsam auf einen erfolgreichen Therapieverlauf ausgerichtet."

 

Haber und Tomasits [6]:

"MTT ist die Anwendung von körperlichem Training bei  (noch) Gesunden oder Patienten, im Rahmen einer medizinischen präventiven oder kurativen Behandlung, auf ärztliche Empfehlung und Verordnung, mit klaren Indikationen, zur Erreichung von definierten Therapiezielen. MTT ist also eine Fortsetzung der medizinischen Therapie mit anderen Mitteln."

 

Ausgewählte Aspekte zur Erläuterung und Umsetzung der Prinzipien medizinischer Trainingstherapie bei Patienten mit chronischen Rückenbeschwerden

 

Funktionelle, insbesondere muskulär-, aber auch koordinative- defizitäre Zustände - wie diese im Weiteren für Patienten mit chronischen Rückenbeschwerden noch wissenschaftlich präzisiert werden- beeinträchtigen den Patienten in der individuellen Handlungskompetenz zur Erfüllung seiner alltäglichen Aufgaben. 

 

Die individuelle Eigenschaften und Fähigkeiten (→Kapazität) einen Menschen bestimmen die Erfüllung der objektiven Aufgaben und Belastung. 

 

Wenn diese hier funktionelle Kapazität, insbesondere im Vergleich mit einer gesunden Population 

  • individuelle reduziert ist, 
  • ein kausaler Zusammenhang mit einem Krankheitsbild besteht und 
  • die funktionelle Störung das Risiko, dass eine bestehende Erkrankung wieder auftritt oder sich verschlechtert nachweislich erhöht ist,

 

so ist die Voraussetzung für ein therapeutisches Vorgehen erfüllt. Die „reduzierte funktionelle Kapazität“ entspricht dann einem Risikofaktor [15].

Eine Maßnahme, welche die Reduktion eines Risikofaktors bei schon Bestehen einer Erkrankung bewirkt, entspricht demnach einer kausalen Therapie und bedingt nach der ärztlichen Diagnose die Einleitung kurativer und tertiärpräventiver Maßnahmen. 

 

Die funktionelle Störung im Allgemeinen: Das pathogenetische Prinzip

 

Patienten mit chronischen Rückenbeschwerden haben nachweislich signifikant häufiger muskuläre Defizite gegenüber untrainierten Normalpersonen [2] [22] [28].

Die Notwendigkeit der muskulärer Rekonditionierung bei Patienten mit chronischen Rückenbeschwerden wird in der Literatur vielfach beschrieben und begründet.

 

Morphologisch wurde die differenzierten Verschlechterungen der isometrischen Maximalkraft durch eine Minderung des Muskelquerschnitts (vorwiegend der schnell zuckende TYP II- Fasern), einer zunehmenden Fettinfiltration (Austausch degenerierter Fasern durch Fett) und insbesondere durch eine unökonomische neuromuskuläre Rekrutierung der verschiedenen Muskelfasertypen [21] [14] [16] [22] [23] erklärt. Die Reduktion dieser Defizite – wie u.a. Hollmann und Hettinger [13], Bandy et al. [3], Howald [15], sie begründen- sind damit notwendiger Inhalt der einzusetzenden Methode mit dem Ziel positiver Anpassungserscheinungen und positive morphologische Wirkung (Reduktion des pathologischen Zustands) in der

  • Verbesserung der simultanen Rekrutierung und Frequentierung der Muskelfasern
  • Verdickung der –noch vorhandenen- schnell zuckenden TYP II- Fasern

 

und somit die Reduktion der funktionellen Risiken in der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur herbeizuführen. 

 

Die Defizite der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur müssen der zweifelsfreien Zuordnung in einem Krankheitsbild genügen. Bei chronischen Patienten (ambulante Versorgung) liegt in 

  • 97 % aller Fälle eine gestörte Funktion, 
  • ca 3% der Fälle eine gestörte Struktur (Domäne der Klinik) und begleitend  
  • 22,5 % aller Fälle eine auffällige Psyche 

 

vor (Mehrfachnennung möglich) [30].

 

Daher gliedert sich die Vorraussetzung für die medizinische Trainingstherapie in der

  1. Diagnose eines subakuten oder chronischen Zustands der Rückenbeschwerden in Abgrenzung von akuten, insbesondere strukturell bedingten Ursachen.
  2. Systematische Abgrenzung des individuellen pathologischen, muskulären Zustands vom weitestgehend gesunden Zustand
  3. Überprüfbarkeit einer psychomentalen/kognitiven Vorraussetzungen/Teilnahmebereitschaft.

 

zu -1- Diagnose

Erste und wichtigste Qualitätssichernde Maßnahme ist die orthopädisch/schmerztherapeutische Begutachtung durch den behandelnden Arzt. Sie ist unabdingbare Voraussetzung für die Teilnahme an der Medizinischen Trainingstherapie. Nach Uhlig [30] hat diese auf vier diagnostischen Ebenen zu erfolgen (Tab. 1)

 

Tab.1: Ebenen der Differentialdiagnose zur Medizinischen Trainingstherapie (nach Uhlig  [30])

 

Prinzipiell sollten die Patienten vor Beginn der Maßnahme dem behandelnden Arzt vorgestellt werden. Dieser delegiert, auf Grundlage einer dokumentierten Indikation/Kontraindikations- Liste die Teilnahme an der medizinischen Trainingstherapie. Die Einbindung der medizinischen Trainingstherapie unter den Rahmenbedingungen einer orthopädischen Praxis sind von Uhlig et al. exakt beschrieben [30]. 

Aus der Relation von Funktion und Struktur ergibt sich damit der von Uhlig beschriebene Behandlungsalgorithmus mit

  1. Klassisch orthopädisch- manualmedizinischer Differenzial- Diagnostik
  2. Orthopädische Schmerztherapie ggf. kombiniert mit physiotherapeutischer Vorbehandlung zur Herstellung der Übungs- Belastungsstabilität 
  3. Medizinischer Trainingstherapie zur Beseitigung der muskulären Defizite

 

zu -2- Systematische Abgrenzung des pathogenetischen Prinzips

In der Praxis bedeutet dies allerdings allzu häufig, dass der Patient vom Arzt rückmeldungsfrei in die Therapie gelangt. Sachlich korrekte ist hier der Algorithmus in einer Abfolge:

  1. Differentialiagnose- Indikation zur Analyse (ja/nein?) 
  2. Funktionelle Analyse/Befundung pathogenetische Prinzip bestätigt (ja/nein?)
  3. Integration in die Differentialdiagnostik durch den behandelnden Arzt
  4. Indikation zur Trainingstherapie

 

zu interpretieren.

 

Zur Erläuterung: Die  hierzu diskutierte Muskelathrophie, welche i.d.R. durch Formen der Minderbeanspruchung, Teilbelastung oder schlimmstenfalls durch komplette Immobilisation hervorgerufen wird, ist oft noch über Jahre nachzuweisen [26]. In der Frühphase einer Immobilisation beschleunigt die reduzierte Proteinsynthese die Muskelathrophie [1] und die neuromuskuläre Aktivierbarkeit [27]. Sie führt zu einem frühzeitigen Verlust der Muskelmasse um 50% innerhalb von 10 Tagen und, in derselben Relation von 50 % zu einer Reduktion der elektrischen Aktivität (neuromuskuläre Aktivierung- Koordination) nach 6 Wochen. Demnach ist physiologisch, bei einer entsprechenden -oft  jahrelangen- Krankheitsgeschichte mit nachvollziehbaren Phasen der Minder-/ Teilbeanspruchung oder Immobilisation von dem schon beschriebenen pathologischem Zustand der Muskulatur auszugehen. 

 

Eine systematische Abgrenzung des muskulär-pathologischen Zustands ist nach wissenschaftlichem Ermessen daher schon durch 

  • die Anamnese
  • Dokumentation des einzelnen Patienten innerhalb eines differenzierenden und wertenden Körpernormkonzepts [17] 

 

möglich. Aus der Anamnese sind daher Informationen über

  • Art und Dauer des bestehenden Wirbelsäulenschadens
  • Art und Dauer der Bewegungseinschränkung- Immobilisation
  • Rezidivhäufigkeit
  • Dauer insbesondere des letzten Rezidivs

 

zur Abklärung und Sicherstellung der Diagnose erforderlich.

 

Eine weitergehende funktionelle Beurteilung und  Differenzierung in betroffene Muskelgruppen und muskulären Dysbalancen sollte durch die Messung der isometrischen Maximalkraft, idealerweise ergänzt durch die Verfügbarkeit von Referenzdaten nach internationalen Konventionen (vergl. International Federation of Clinical Chemistry/ IFCC bei Solberg [29]) abgesichert werden.

 

zu  -3- Überprüfbarkeit einer psychomentalen Teilnahmebereitschaft

Zusätzlich hängen die Beanspruchungsbereitschaft des Patienten und damit auch sein aktueller musklärer Zustand und seine Trainierbarkeit von seinem schmerzbezogenen Angst- Vermeidungsverhalten ab [10] 

Unabhängig von dem Bestehen muskulärer Defizite existieren kognitive/behaviorale Risiken, durch welche die Teilnahme an einer medizinischen Trainingstherapie einen nachweislich reduzierten Effekt aufwiesen [8][9][24]. Diese Faktoren sollten durch praktikable psychometrische Tests transparent gemacht und berücksichtigt werden.

 

Einbeziehung psychosozialer Fragestellungen

 

Innerhalb der medizinischen Trainingstherapie müssen neben den morphologischen Veränderungen ebenso auch die veränderten Kognitionen der Patienten berücksichtigt werden. 

 

Durch die Konfrontation mit den Bewegungen und Belastungen, welche bei dem Patienten nachweislich defizitär sind, erhält der Patient die Möglichkeit seine Bewegungs- und Belastungsmodelle zu überprüfen und kognitiven Umstrukturierungen beziehungsweise eine veränderte Handlungs- Planungsfertigkeit zu erwerben [24]. Diese stehen in einem engen korrelierenden Zusammenhang mit dem Ausmaß der muskulären Dekonditionierung [12]. Hierzu sind auch besondere Kenntnisse der Therapeuten in der Umsetzung didaktisch pädagogischer Aspekte erforderlich [11][12]. 

 

Methode und Ziele der Medizinischen Trainingstherapie

 

Der methodischen Herangehensweise in angemessener Relation zu dem pathologischen Zustand der Muskulatur kommt letztendlich eine besondere Bedeutung zu. Hierzu existiert in der therapeutischen Landschaft eine Fülle von mehr oder weniger strukturierten Ansätzen, deren Vergleich aufgrund der unterschiedlichen Teilnahmekriterien und Ergebnisdarstellung problematisch sind [10]. Unabhängig welcher „Philosophie“ die eingesetzte Methode gehorcht, ergeben sich aus den allgemeingültigen Prämissen 

  1. der mehr ganzheitlich erfassenden Definition nach Froböse [5] 
  2. der differenzialdiagnostisch beurteilten Pathologie der Muskulatur und 
  3. den kognitiven Beeinträchtigungen [12]

 

- im Sinne der WHO (World Health Organisation) [11]- die schlüssige und notwendige methodische Anforderungen.  Es ist daher implizit derart methodisch vorzugehen, dass ein angemessene, positive Wirkungen im Sinne der Veränderung des Impairments und der Disability zu erwarten sind [10][12]. 

 

Die Defizite der Muskulatur stellen das entscheidende physiologische Impairment dar, welches durch spezifische Reizsetzung am betroffenen Bewegungsorgane positiv verändert werden kann [13]. Von daher müssen die innerhalb der Therapie gesetzten Belastungsreize

  • von adäquater Intensität sein und
  • die koordinative Ansteuerung des/der betroffenen Muskulatur sichergestellt werden.

 

Dies kann unter verschiedenen Rahmenbedingungen aus personellen und apparativen Bedingungen geschehen. Hierbei entsteht eine 

 

Logische Trias der Hauptfaktoren der Medizinische Trainingstherapie 

 

Diese Hauptfaktoren sind wiederum von weiteren variablen Bedingungen abhängig (Tab. 2).

 

Tab. 2: Hauptfaktoren der Medizinischen Trainingstherapie

 

Die einzelnen Faktoren stehen untereinander in teilweise reziproken Zusammenhang. Zum Beispiel: 

  1. sind die motorischen Vorraussetzungen des Patienten sehr schlecht benötigt er eine aufwändigere apparative Ausstattung bei gleichzeitig intensiverer Betreuung
  2. ist die apparative Ausstattung mehr auf geschlossene Ketten (frei Widerstände) ausgerichtet, so ist - bei gleichzeitiger intensiver personeller Betreuung- der zeitliche koordinative Lernaufwand sehr hoch, was die Therapiekosten pro Patient wieder erhöht.

 

Daher sollten insbesondere der personelle Schlüssel (Betreuung) und die apparative Ausstattung unter den methodisch gewählten Rahmenbedingungen eindeutig festgelegt werden, beziehungsweise, insbesondere unter den Bedingungen Qualitätssichernder Prozesse eindeutige Bedingungen für diese (vertraglich) abgesprochen/ erklärt werden.

 

Messung, Interpretation und Dokumentation

Die vor, während und nach der Therapie durchgeführte Dokumentation der (positive) Veränderungen muss nachvollziehbar, zielführend und systematisch sichergestellt sein. 

 

Eine besondere Bemerkung sei hier noch zur Messbarkeit gestattet. Dabei wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass die eingesetzten Messmethoden nachweislich wissenschaftlichen Test- Güte Kriterien (Reliabilität, Validität und Objektivität) unter standardisierten Bedingungen genügen. Es darf aber nicht vernachlässigt werden, das insbesondere z.B. die üblichen biomechanischen Messungen (Maximale isometrische Drehmoment, Kraftausdauermessungen statisch/ dynamisch) indirekte Messungen im naturwissenschaftlichem Sinne sind. Das heißt wir interpretieren die messtechnisch beobachteten mechanischen Wirkungen als valide Wirkung (hier das Drehmoment) des physiologischen Zustands der Muskulatur.

 

Das übliche Verfahren die Kraft eines spezifischen Muskels vor und nach der Therapie zu messen und zu dokumentieren, genügt aber demnach definitive nicht die möglicherweise verbesserten Werte als positive funktionelle und strukturelle Verbesserung des Erfolgorgans zu interpretieren! Hierzu sind unbedingt die methodischen Kriterien obligat (Tab. 3).

 

Tab. 3: Methodische Kriterien zur Medizinischen Trainingstherapie

 

Erst wenn nachvollziehbar ist, das die Veränderungen der Maximalkraft ursächlich auf die in der Therapie erzielte muskulären Beanspruchung (Ermüdung im anaeroben Bereich) zurückzuführen ist, so darf von einer tatsächliche physiologischen Verbesserung der funktionellen Kapazität ausgegangen werden.

 

Diese Kriterien stellen die Mindestanforderung an eine nichtinvasive Interpretation des (positiven) Ergebnisses dar. Jede weitere Vertiefung (Muskelbiopsie, EMG) wäre –insbesondere im Hinblick auf den Zustand der muskulären Struktur –deutlich aufwändiger und insbesondere auch kostenintensiver. 

 

Ziel der Medizinischen Trainingstherapie muss die hiermit nachweisbare

  • funktionelle Wiederherstellung bei
  • angemessener Beanspruchungsbereitschaft

 

des Patienten sein [11]. 

 

Hieraus entwickelt sich ein prozessorientierter Kriterienkatalog für die methodische Struktur. Eine Standardisierung der Methode ist hier auf jeden Fall notwendig.

 

Spezielle prozessorientierte Strukturanforderungen 

 

Ein modernes Verständnis der Kooperation zwischen Kostenträgern und Leistungsanbietern besteht in der Verbindlichkeit von Absprachen zur Festlegung der die Qualität sichernden Prozesse. Diese Absprachen definieren das Grundgerüst -als Minimalkriterien der medizinischen Trainingstherapie zu den inhärenten die Qualität sichernder Parametern. Sie können aber auch gleichzeitig als „Blaupause“ zur Durchführung aller aktiven Therapieprozesse dienen. Der Ordnung halber werden hier die strukturellen Parameter benannt so wie diese im vorhergehenden Abschnitt argumentativ hergeleitet wurden.

Zusammenfassend ergeben sich aus den vorliegenden Definitionen in Kenntnis des Krankheitsbildes folgende Kriterien und deren nachweisliche Notwendigkeit (Tab. 4).

 

Kriterium Beschreibung Nachweis

Indikation Individueller Bezug der Differentialdiagnose auf eine eindeutige Indikationen/ Kontraindikationen Indikations- und/ Kontraindikationsliste

Therapiemethode Eine exakte wissenschaftlich Kriterien genügende Dokumentation der zugrunde liegende didaktischen Vorgehensweise, basierend auf eine evidente Methode zur Veränderung des individuell diagnostizierten funktionellen, defizitären Zustandes Dokumentation: Veröffentlichung, Vertragsanhang o.ä. 

Tab. 4: Prozessorientierte Strukturanforderungen der Medizinischen Trainingstherapie

 

Fazit 

 

An diesem Beispiel ist zu erkennen, dass eine Transparenz auf dem Gesundheitsmarkt nur dann möglich ist, wenn die medizinische Trainingstherapie, entsprechend definierter Kriterien beschrieben ist [10]:

  1. Diagnosekriterien inklusive definierter Indikation/Kontraindikation
  2. systematische Zuordnung des physiologischen muskulären Zustands (pathologischer vs. gesunder Zustand) (zu Therapiebeginn- und ende)
  3. Psychometrie (Didaktik) (zu Therapiebeginn- und ende)
  4. Wissenschaftliche Dokumentation (Methode und Effekte)
  5. Qualitätssicherung

 

Anhand dieser allgemeingültigen Kriterien muss sich daher eine aktivierende Maßnahme im Sinne der Medizinischen Trainingstherapie messen lassen. 

Prinzipiell sollte von keiner Seite der Anspruch erhoben werden, dass alle Kriterien bedingungslos zwingend erfüllt sein müssen. Allerdings sollte sich aus der genannten Definition ein Wertungsmaßstab ergeben, welche eine Klassifizierung unterschiedlicher Methoden erlaubt. Des Weiteren können sich damit auch Kostenträger und Leistungsanbieter, auf der Basis einer transparenten Qualitätssicherung fair begegnen.

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